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Arbeitsunfall Anerkennung: Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit?

Am 21. September 2016 verunglückte ein Mann auf dem Weg zur Arbeit schwer – doch die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Nun hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden, dass der Unfall nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, da der Mann sich nicht an die Gründe für seine ungewöhnliche Fahrtroute erinnern konnte. Damit wird die Frage aufgeworfen, wie wichtig eine lückenlose Erinnerung für den Versicherungsschutz bei Arbeitsunfällen ist.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Es ging darum, ob ein Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit als Arbeitsunfall anerkannt wird.
  • Der Kläger erlitt einen Unfall auf dem Weg von seiner Wohnung zur Arbeit.
  • Schwierigkeit bestand darin, dass der Kläger sich nicht an den Unfallhergang und die Beweggründe für die gewählte Route erinnern konnte.
  • Das Gericht lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab.
  • Die Entscheidung basierte darauf, dass keine ausreichenden Beweise für den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Arbeitsweg vorlagen.
  • Die Auswirkungen bedeuten, dass der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Fehlende Erinnerung verhindert Anerkennung als Arbeitsunfall

Wer kennt es nicht: Man sitzt morgens im Auto, auf dem Weg zur Arbeit, und plötzlich passiert es – ein Unfall. Doch was passiert, wenn dieser Unfall während der Fahrt zur Arbeit passiert? Ist dies dann ein Arbeitsunfall? Diese Frage ist nicht immer einfach zu beantworten, denn die Rechtsprechung hat hier klare Grenzen gezogen. Um als Arbeitsunfall anerkannt zu werden, muss der Unfall auf dem Weg zur Arbeit passieren, aber auch in zeitlicher und örtlicher Nähe zum Arbeitsplatz liegen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Unfall auf direktem Weg zum Arbeitsplatz geschieht oder ob man beispielsweise vorher noch einkaufen oder die Kinder in die Kita bringen musste.

Wichtig ist, dass der Unfall in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeit steht. Eine klare und eindeutige Abgrenzung ist jedoch schwierig, da die Rechtsprechung hier sehr differenziert urteilt. Im Folgenden werden wir ein konkretes Urteil genauer beleuchten und Sie mit den wichtigsten Kriterien zur Anerkennung eines Verkehrsunfalls auf dem Weg zur Arbeit als Arbeitsunfall vertraut machen.

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Der Fall vor Gericht


Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit nicht als Arbeitsunfall anerkannt

Der Fall dreht sich um einen Verkehrsunfall, den der Kläger am 21. September 2016 gegen 6:20 Uhr auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle erlitt. Der Unfall ereignete sich, als der Kläger von der Bundesstraße J. nach links in die L. einbog und dabei mit einem entgegenkommenden Transporter kollidierte. Bei dem Zusammenstoß zog sich der Kläger mehrere Frakturen zu.

Zum Zeitpunkt des Unfalls wohnte der Kläger in N. und war bei der Firma O. GmbH in P. beschäftigt. Die zentrale Frage in diesem Fall war, ob der Unfall als Arbeitsunfall bzw. genauer gesagt als Wegeunfall anerkannt werden kann.

Ein wichtiger Aspekt des Falls ist, dass der Kläger wiederholt angab, sich nicht an den genauen Unfallhergang erinnern zu können. Insbesondere konnte er keine Erklärung dafür liefern, warum er die Route über die M. gewählt hatte und in die Q. eingebogen war. Diese Gedächtnislücken des Klägers spielten eine bedeutende Rolle bei der rechtlichen Beurteilung des Falls.

Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall durch die Berufsgenossenschaft

Die zuständige Berufsgenossenschaft, im Urteil als „die Beklagte“ bezeichnet, lehnte mit Bescheid vom 31. Januar 2017 die Anerkennung des Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall ab. Diese Entscheidung bildete den Ausgangspunkt für die sich anschließende rechtliche Auseinandersetzung.

Der Kläger war mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und ging dagegen vor. Er durchlief zunächst das Widerspruchsverfahren bei der Berufsgenossenschaft. Als sein Widerspruch erfolglos blieb, erhob er Klage beim Sozialgericht Oldenburg. Nachdem das Sozialgericht die Klage abwies, legte der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ein.

Gerichtliche Entscheidung: Kein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit seinem Urteil vom 12. April 2024 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Mai 2019 zurückgewiesen. Das bedeutet, dass auch das Landessozialgericht den Verkehrsunfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt hat.

Die Richter am Landessozialgericht begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass er sich zum Unfallzeitpunkt auf dem versicherten Weg zur Arbeit befand. Ein wesentlicher Punkt war dabei, dass der Kläger keine plausible Erklärung für die von ihm gewählte Route liefern konnte.

Die Tatsache, dass der Kläger sich nicht an die Gründe für die Wahl seiner Fahrtroute erinnern konnte, wurde vom Gericht als problematisch angesehen. Ohne eine nachvollziehbare Begründung für den gewählten Weg konnte das Gericht nicht feststellen, ob der Kläger tatsächlich auf dem direkten Weg zur Arbeit war oder ob er möglicherweise aus privaten Gründen von diesem Weg abgewichen war.

Bedeutung der Entscheidung für Arbeitnehmer

Diese Gerichtsentscheidung verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Arbeitnehmer im Falle eines Unfalls auf dem Weg zur Arbeit den Zusammenhang zwischen dem Unfall und ihrer beruflichen Tätigkeit nachweisen können.

Für die Anerkennung eines Wegeunfalls als Arbeitsunfall ist es entscheidend, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich auf dem direkten Weg zur Arbeit war. Abweichungen von diesem Weg müssen gut begründet sein, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden.

Das Urteil zeigt auch, dass Gedächtnislücken oder fehlende Erinnerungen an den Unfallhergang die Anerkennung als Arbeitsunfall erschweren können. Arbeitnehmer sollten daher nach Möglichkeit versuchen, den Unfallhergang und die Gründe für die gewählte Route so genau wie möglich zu dokumentieren.

Die Entscheidung des Landessozialgerichts unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Dokumentation und Begründung im Falle eines Unfalls auf dem Weg zur Arbeit. Nur so können Arbeitnehmer ihre Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgreich geltend machen.

Die Schlüsselerkenntnisse


Die Entscheidung unterstreicht die hohe Bedeutung der Nachweispflicht des Arbeitnehmers bei Wegeunfällen. Für die Anerkennung als Arbeitsunfall ist es entscheidend, dass der Versicherte belegen kann, sich zum Unfallzeitpunkt auf dem direkten Weg zur Arbeit befunden zu haben. Gedächtnislücken oder fehlende Begründungen für Routenabweichungen können den Versicherungsschutz gefährden. Arbeitnehmer sollten daher Unfallhergänge und Gründe für Routenwahlen sorgfältig dokumentieren.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Das Urteil unterstreicht, wie wichtig es ist, nach einem Unfall auf dem Arbeitsweg den direkten Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Arbeit nachweisen zu können. Können Sie sich nicht mehr genau an den Unfallhergang oder die Gründe für Ihre gewählte Route erinnern – etwa, weil Sie einen Schock erlitten haben – könnte dies dazu führen, dass Ihr Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird.

Dies bedeutet konkret, dass Sie möglicherweise keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung haben, wie zum Beispiel Kostenübernahme für Heilbehandlungen oder Verletztengeld.

Es ist daher ratsam, nach einem Unfall auf dem Arbeitsweg, soweit möglich, alle relevanten Informationen zu dokumentieren. Dazu gehören der Unfallhergang, Zeugenaussagen und auch der Grund für die gewählte Route. So können Sie im Fall einer Auseinandersetzung Ihre Ansprüche besser durchsetzen.


FAQ – Häufige Fragen

Sie sind auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt und sind sich nicht sicher, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt? In unserer FAQ-Rubrik finden Sie Antworten auf Ihre wichtigsten Fragen rund um das Thema Arbeitsunfälle auf dem Weg zur Arbeit.


Was gilt als Arbeitsunfall auf dem Weg zur Arbeit?

Als Arbeitsunfall auf dem Weg zur Arbeit gilt grundsätzlich jeder Unfall, der sich auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ereignet. Der Versicherungsschutz beginnt mit dem Verlassen des häuslichen Bereichs und endet mit dem Erreichen der Arbeitsstelle. Entscheidend ist dabei die Absicht des Arbeitnehmers, die Arbeitsstätte aufzusuchen. Die Wahl des Verkehrsmittels spielt keine Rolle – ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln.

Auch Umwege können unter bestimmten Voraussetzungen als versicherter Arbeitsweg gelten. Dies trifft zu, wenn der Umweg verkehrsbedingt notwendig ist, etwa aufgrund einer Baustelle oder eines Staus. Ebenso versichert sind Umwege zum Abholen oder Bringen von Kindern zur Betreuungseinrichtung. Bei Fahrgemeinschaften gilt der gesamte gemeinsame Weg als versichert, selbst wenn er von der direkten Strecke abweicht.

Nicht versichert sind hingegen private Unterbrechungen des Arbeitsweges, die länger als zwei Stunden dauern oder einem eigenwirtschaftlichen Zweck dienen. Ein Einkauf auf dem Heimweg fällt beispielsweise nicht unter den Versicherungsschutz. Auch Unfälle während einer Pause auf dem Arbeitsweg, etwa beim Kaffeetrinken in einem Café, sind in der Regel nicht abgedeckt.

Für die Anerkennung als Arbeitsunfall ist es wichtig, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Weg zur Arbeit und dem Unfallereignis besteht. Die Rechtsprechung legt dabei einen weiten Maßstab an. So können auch Unfälle beim Tanken oder bei einer kurzen Rast auf einer längeren Fahrt zur Arbeit als Wegeunfall anerkannt werden, sofern sie der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienen.

Bei Zweifeln über die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist es ratsam, den Vorfall umgehend dem Arbeitgeber und der zuständigen Berufsgenossenschaft zu melden. Diese prüfen dann im Einzelfall, ob die Voraussetzungen für einen versicherten Wegeunfall vorliegen. Im Streitfall kann die Entscheidung auch gerichtlich überprüft werden.

Besondere Aufmerksamkeit gilt Unfällen, die sich in unmittelbarer Nähe der Wohnung oder des Arbeitsplatzes ereignen. Hier kommt es auf die genauen Umstände an. Ein Sturz auf der Treppe im Mehrfamilienhaus gilt in der Regel noch nicht als Wegeunfall, während ein Ausrutschen auf dem Bürgersteig vor dem Haus bereits versichert sein kann.

Die Anerkennung als Arbeitsunfall hat weitreichende Folgen für die Absicherung des Arbeitnehmers. Im Gegensatz zu einem Freizeitunfall übernimmt bei einem anerkannten Wegeunfall die gesetzliche Unfallversicherung sämtliche Heilbehandlungskosten und zahlt gegebenenfalls Verletztengeld oder eine Rente. Daher ist es für Betroffene von großer Bedeutung, die Kriterien für einen versicherten Arbeitsunfall auf dem Weg zur Arbeit zu kennen und im Zweifelsfall fachkundigen Rat einzuholen.

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Welche Beweise und Dokumentationen sind notwendig, um einen Wegeunfall als Arbeitsunfall anzuerkennen?

Für die Anerkennung eines Wegeunfalls als Arbeitsunfall sind verschiedene Beweise und Dokumentationen von entscheidender Bedeutung. Der Versicherte muss nachweisen, dass sich der Unfall auf dem versicherten Weg zur oder von der Arbeit ereignet hat. Hierzu dienen zunächst polizeiliche Unfallberichte, die den genauen Unfallort und -zeitpunkt festhalten. Diese sollten unbedingt angefordert und aufbewahrt werden.

Zeugenaussagen von Unfallbeteiligten oder unbeteiligten Passanten können ebenfalls wichtige Beweismittel darstellen. Sie können den Unfallhergang bestätigen und belegen, dass sich der Versicherte tatsächlich auf dem Arbeitsweg befand. Auch Fotos oder Videos vom Unfallort können hilfreich sein, um die örtlichen Gegebenheiten zu dokumentieren.

Der Versicherte sollte zudem seine übliche Route zur Arbeit detailliert beschreiben und aufzeichnen. Hierfür eignen sich Routenplaner oder GPS-Aufzeichnungen, die den regelmäßig genutzten Weg nachvollziehbar machen. Abweichungen von der üblichen Route müssen plausibel begründet werden, etwa durch Verkehrsbehinderungen oder das Abholen von Kollegen für Fahrgemeinschaften.

Ärztliche Atteste und Behandlungsunterlagen sind unverzichtbar, um den zeitlichen und kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfall und den erlittenen Verletzungen zu belegen. Der Versicherte sollte umgehend einen Durchgangsarzt aufsuchen und diesem mitteilen, dass es sich um einen Wegeunfall handelt. Die Dokumentation der Erstbehandlung ist besonders wichtig.

Arbeitszeitnachweise des Arbeitgebers können den geplanten Arbeitsbeginn oder das Arbeitsende bestätigen und somit den zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall herstellen. Eine schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers über Arbeitszeiten und übliche Arbeitswege kann die Glaubwürdigkeit des Versicherten unterstützen.

Bei Unfällen mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind Fahrscheine oder elektronische Fahrtbelege wertvolle Beweismittel. Sie dokumentieren, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt tatsächlich auf dem Weg zur oder von der Arbeit war.

Die lückenlose Dokumentation des Unfallhergangs durch den Versicherten selbst ist ebenfalls von großer Bedeutung. Eine detaillierte schriftliche Schilderung des Unfalls, einschließlich Uhrzeit, Ort, Wetterbedingungen und beteiligter Personen oder Fahrzeuge, sollte zeitnah erstellt werden, solange die Erinnerungen noch frisch sind.

In Zweifelsfällen kann die Berufsgenossenschaft auch Ortstermine durchführen oder Sachverständigengutachten einholen, um die Plausibilität des geschilderten Unfallhergangs zu überprüfen. Der Versicherte sollte hierbei kooperativ sein und alle verfügbaren Informationen bereitstellen.

Die sorgfältige Sammlung und Aufbewahrung aller relevanten Unterlagen ist entscheidend für die erfolgreiche Anerkennung eines Wegeunfalls als Arbeitsunfall. Je mehr stichhaltige Beweise vorgelegt werden können, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Berufsgenossenschaft den Unfall als versicherten Wegeunfall anerkennt und entsprechende Leistungen gewährt.

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Welche Rolle spielt die Wahl der Route bei der Anerkennung eines Wegeunfalls?

Die Wahl der Route spielt eine entscheidende Rolle bei der Anerkennung eines Wegeunfalls. Grundsätzlich muss der direkte Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gewählt werden, damit ein Unfall als Wegeunfall anerkannt wird. Allerdings legt die Rechtsprechung den Begriff des „direkten Weges“ nicht zu eng aus.

Abweichungen vom kürzesten Weg können in bestimmten Fällen zulässig sein. So kann auch eine längere Strecke als direkter Weg gelten, wenn sie verkehrsgünstiger ist oder schneller zum Ziel führt. Entscheidend ist, dass die gewählte Route objektiv nachvollziehbar und vernünftig erscheint. Ein Arbeitnehmer, der aufgrund eines Staus eine Umleitung wählt, bleibt beispielsweise versichert.

Auch bei der Wahl des Verkehrsmittels haben Versicherte Spielraum. Ob jemand mit dem Auto, öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zur Arbeit fährt, ist für den Versicherungsschutz unerheblich. Die jeweiligen Routen können naturgemäß voneinander abweichen.

Bestimmte Umwege stehen ebenfalls unter Versicherungsschutz. Dazu gehören etwa Fahrgemeinschaften oder das Bringen von Kindern zur Betreuung. Ein Arbeitnehmer, der auf dem Weg zur Arbeit sein Kind in den Kindergarten bringt, ist für diesen Umweg versichert. Auch das Abholen von Kollegen für eine Fahrgemeinschaft unterbricht den Versicherungsschutz nicht.

Problematisch sind hingegen Umwege oder Unterbrechungen aus privaten Gründen. Wer auf dem Heimweg von der Arbeit einen Umweg zum Einkaufen macht, verliert für diese Zeit den Versicherungsschutz. Er lebt erst wieder auf, wenn der direkte Weg nach Hause fortgesetzt wird.

Die Dauer einer Unterbrechung spielt ebenfalls eine Rolle. Dauert sie länger als zwei Stunden, erlischt in der Regel der Versicherungsschutz für den restlichen Heimweg. Ein Arbeitnehmer, der nach der Arbeit noch für drei Stunden ins Fitnessstudio geht, wäre auf dem anschließenden Heimweg nicht mehr als Wegeunfall versichert.

Bei der Beurteilung von Wegeunfällen prüfen die Berufsgenossenschaften und Sozialgerichte den Einzelfall genau. Sie berücksichtigen dabei die konkreten Umstände wie Verkehrslage, Witterung oder persönliche Gründe für die Routenwahl. Ein Arbeitnehmer sollte daher im Zweifelsfall die Gründe für seine Routenwahl dokumentieren können.

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Was passiert, wenn man sich an den Unfallhergang nicht erinnern kann?

Bei Gedächtnislücken nach einem Unfall kann die Anerkennung als Arbeitsunfall erschwert sein, ist aber nicht unmöglich. Entscheidend ist, dass der Unfallhergang und die Umstände so weit wie möglich rekonstruiert werden können.

Betroffene sollten zunächst alle verfügbaren Informationen zum Unfallgeschehen sammeln. Dazu gehören Zeugenaussagen von Kollegen oder anderen Personen, die den Unfall beobachtet haben könnten. Auch Fotos vom Unfallort, Unfallberichte oder Polizeiprotokolle können wichtige Hinweise liefern. Medizinische Unterlagen wie Arztberichte oder Krankenhausakten dokumentieren die erlittenen Verletzungen und können Rückschlüsse auf den Unfallhergang zulassen.

Die gesetzliche Unfallversicherung ist verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Sie muss also selbst Ermittlungen anstellen, wenn der Versicherte sich nicht erinnern kann. Dabei greift eine Beweiserleichterung zugunsten des Versicherten. Es genügt, wenn die Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für einen Arbeitsunfall sprechen.

Ein typisches Beispiel wäre ein Sturz auf einer Treppe im Betrieb. Auch wenn sich der Betroffene nicht mehr an den genauen Hergang erinnern kann, spricht die Auffindungssituation am Fuß der Treppe mit entsprechenden Verletzungen für einen Arbeitsunfall. Die Berufsgenossenschaft müsste dann beweisen, dass kein Zusammenhang mit der Arbeit besteht.

Besonders wichtig ist die zeitnahe Meldung des Unfalls beim Arbeitgeber und der Berufsgenossenschaft. Je früher der Unfall gemeldet wird, desto eher können noch Beweise gesichert werden. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, jeden Arbeitsunfall zu melden, der zu mehr als drei Tagen Arbeitsunfähigkeit führt.

Bei der Unfallschilderung sollten Betroffene ehrlich angeben, wenn sie sich an bestimmte Details nicht erinnern können. Falsche Angaben können später zu Problemen führen. Stattdessen ist es ratsam, die letzten erinnerten Handlungen vor der Gedächtnislücke sowie die ersten Erinnerungen danach möglichst genau zu beschreiben.

Auch indirekte Beweise können hilfreich sein. Dazu zählen etwa Arbeitsaufzeichnungen, die belegen, dass der Versicherte zum Unfallzeitpunkt an einem bestimmten Ort im Betrieb tätig war. Oder Zeugen, die den Betroffenen kurz vor dem Unfall bei der Arbeit gesehen haben.

In manchen Fällen können auch technische Untersuchungen oder Rekonstruktionen des Unfallhergangs durch Sachverständige notwendig sein. Die Kosten dafür trägt in der Regel die Berufsgenossenschaft.

Wird der Antrag auf Anerkennung als Arbeitsunfall abgelehnt, haben Betroffene die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Dabei können sie weitere Beweise oder Argumente vorbringen. Bleibt auch der Widerspruch erfolglos, kann Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden.

Gedächtnislücken nach einem Unfall sind nicht ungewöhnlich. Gerade bei Kopfverletzungen oder einem Schock kann es zu einer sogenannten retrograden Amnesie kommen. Dabei werden Erinnerungen an die Zeit kurz vor dem Unfall gelöscht. Dies ist medizinisch anerkannt und spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Versicherten.

Für die rechtliche Beurteilung ist entscheidend, ob die vorhandenen Indizien und Beweise in ihrer Gesamtheit für einen Arbeitsunfall sprechen. Auch wenn der genaue Unfallhergang im Dunkeln bleibt, kann ein Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn die Umstände darauf hindeuten.

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Wie sollte man vorgehen, wenn die Berufsgenossenschaft die Anerkennung als Arbeitsunfall ablehnt?

Bei einer Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall durch die Berufsgenossenschaft steht Betroffenen der Rechtsweg offen. Zunächst muss innerhalb eines Monats nach Zugang des Ablehnungsbescheids schriftlich Widerspruch bei der Berufsgenossenschaft eingelegt werden. Dies ist kostenfrei und erfordert keine anwaltliche Vertretung. Im Widerspruchsschreiben sollten die Gründe für die Ablehnung widerlegt und alle relevanten Beweise wie ärztliche Atteste oder Zeugenaussagen beigefügt werden.

Lehnt die Berufsgenossenschaft den Widerspruch ab, kann innerhalb eines Monats Klage beim zuständigen Sozialgericht erhoben werden. Auch hier fallen für den Kläger in der ersten Instanz keine Gerichtskosten an. Es empfiehlt sich jedoch, einen auf Sozialrecht spezialisierten Anwalt hinzuzuziehen. Dieser kann die Erfolgsaussichten besser einschätzen und kennt die Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens.

Während des gesamten Verfahrens sollten Betroffene alle ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen sorgfältig dokumentieren. Auch Zeugenaussagen von Kollegen zum Unfallhergang können hilfreich sein. Wichtig ist, dass der Unfall zeitnah gemeldet und ärztlich attestiert wurde. Nachträgliche Meldungen erschweren den Nachweis erheblich.

Bei der Begründung des Widerspruchs oder der Klage ist auf den konkreten Unfallhergang und den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit einzugehen. Es muss dargelegt werden, warum es sich um einen Arbeitsunfall und nicht um ein privates Ereignis handelt. Hierbei können auch Aspekte wie die Wegeunfallversicherung eine Rolle spielen.

Der Rechtsstreit mit der Berufsgenossenschaft kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Betroffene sollten daher Geduld und Ausdauer mitbringen. Oft werden mehrere medizinische Gutachten eingeholt, bis eine endgültige Entscheidung fällt. Während des laufenden Verfahrens besteht kein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Krankenversicherung tritt jedoch in Vorleistung.

Bei komplexen Fällen oder wenn die Erfolgsaussichten unklar sind, kann es sinnvoll sein, sich von einer unabhängigen Stelle beraten zu lassen. Gewerkschaften und Sozialverbände bieten ihren Mitgliedern oft kostenlose Rechtsberatung an. Auch die Verbraucherzentralen können eine erste Orientierung geben.

Betroffene sollten sich nicht scheuen, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Anerkennung als Arbeitsunfall hat weitreichende Folgen für die medizinische Versorgung und mögliche Rentenansprüche. Ein hartnäckiges Vorgehen kann sich daher langfristig auszahlen. Gleichzeitig ist eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten wichtig, um unnötige Verfahren zu vermeiden.

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Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Wegeunfall: Ein Wegeunfall ist ein Unfall, der sich auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ereignet und unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Entscheidend ist, dass der Weg in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Auch kurze Unterbrechungen oder Umwege können unter bestimmten Umständen noch versichert sein. Im vorliegenden Fall war fraglich, ob die vom Kläger gewählte Route noch als direkter Weg zur Arbeit gelten konnte.
  • Nachweispflicht: Bei der Anerkennung eines Wegeunfalls als Arbeitsunfall trägt der Versicherte die Beweislast dafür, dass der Unfall auf dem versicherten Weg geschah. Er muss nachweisen können, dass er sich zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg zur oder von der Arbeit befand und die gewählte Route in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Im konkreten Fall konnte der Kläger aufgrund von Erinnerungslücken diesen Nachweis nicht erbringen, was zur Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall führte.
  • Versicherter Weg: Als versicherter Weg gilt in der Regel der unmittelbare Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Abweichungen von diesem Weg können den Versicherungsschutz gefährden, es sei denn, sie sind durch versicherte Zwecke bedingt. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger nicht plausibel erklären, warum er von der üblichen Route abgewichen war, was gegen einen versicherten Weg sprach.
  • Berufsgenossenschaft: Die Berufsgenossenschaft ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung für Unternehmen einer bestimmten Branche. Sie entscheidet über die Anerkennung von Arbeitsunfällen und erbringt im Versicherungsfall Leistungen wie medizinische Behandlung oder Rentenzahlungen. Im konkreten Fall lehnte die zuständige Berufsgenossenschaft die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, was den Ausgangspunkt für das folgende Gerichtsverfahren bildete.
  • Gedächtnislücken: Erinnerungslücken des Versicherten bezüglich des Unfallhergangs oder der Gründe für die Wahl einer bestimmten Route können die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall erschweren. Sie können dazu führen, dass der erforderliche Nachweis des Zusammenhangs zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit nicht erbracht werden kann. Im vorliegenden Fall waren die Gedächtnislücken des Klägers ein zentraler Punkt, der zur Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall führte.
  • Dokumentationspflicht: Bei Wegeunfällen ist es ratsam, den Unfallhergang, die gewählte Route und die Gründe für eventuelle Abweichungen vom direkten Weg möglichst genau zu dokumentieren. Dies kann durch eigene Aufzeichnungen, Fotos, Zeugenaussagen oder GPS-Daten geschehen. Eine sorgfältige Dokumentation kann im Streitfall dazu beitragen, den erforderlichen Nachweis zu erbringen und die Chancen auf Anerkennung als Arbeitsunfall zu erhöhen.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 8 Abs. 1 SGB VII (gesetzliche Unfallversicherung): Definiert Arbeitsunfälle als Unfälle, die Versicherte infolge ihrer versicherten Tätigkeit erleiden. Im vorliegenden Fall wurde geprüft, ob der Unfall des Klägers auf dem Weg zur Arbeit unter diesen Schutz fällt.
  • § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (Wegeunfälle): Erweitert den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf Unfälle, die sich auf dem direkten Weg von und zur Arbeitsstätte ereignen. Die Strecke, die der Kläger im vorliegenden Fall zurückgelegt hat, war entscheidend für die Frage, ob der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird.
  • § 108 SGG (Sozialgerichtsgesetz): Regelt das Verfahren vor den Sozialgerichten. Im konkreten Fall durchlief der Kläger alle Instanzen bis zum Landessozialgericht, um die Anerkennung seines Unfalls als Arbeitsunfall zu erreichen.
  • § 286 ZPO (Zivilprozessordnung): Legt fest, dass der Kläger die Beweislast für anspruchsbegründende Tatsachen trägt. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger aufgrund seiner Erinnerungslücken nicht beweisen, dass er sich auf dem direkten Weg zur Arbeit befand.
  • § 6 SGB I (Sozialgesetzbuch I): Enthält allgemeine Regelungen zur Beweisführung im Sozialrecht. Im konkreten Fall wurden die Aussagen des Klägers und die Umstände des Unfalls berücksichtigt, um zu entscheiden, ob der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird.

Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Az.: L 14 U 104/19 – Urteil vom 12.04.2024

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall (Wegeunfall).

Der I. geborene Kläger erlitt am 21. September 2016 gegen 6:20 Uhr einen Verkehrsunfall, als er zunächst die Bundesstraße J. Richtung K. befuhr und beim Links-Einbiegen in die L., mit einem auf der M. in die entgegengesetzte Richtung fahrenden Transporter zusammenstieß. Der Kläger zog sich bei dem Unfall mehrere Frakturen zu. Zum Unfallzeitpunkt hatte der Kläger seine Wohnung an der Adresse N., und war bei der Firma O. GmbH, P., beschäftigt.

Im folgenden Verwaltungsverfahren gab der Kläger wiederholt an, sich nicht an den Unfallhergang und die Gründe für die eingeschlagene Route über die M. und für die Einfahrt in die Q. erinnern zu können.

Mit Bescheid vom 31. Januar 2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall ab.

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Der direkte Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte sei 3,9 km lang und dauere mit dem Pkw ca. sechs Minuten. Der Kläger sei an dem Unfalltag jedoch anstatt nach links nach rechts in die A. Straße abgebogen und sei damit in die entgegengesetzte Richtung gefahren. Aus welchem Grund dieser Weg eingeschlagen worden sei, habe nicht ermittelt werden können. Es sei somit völlig unklar, was Ziel der Fahrt gewesen sei. Die Nichterweislichkeit der Gründe für das Einschlagen des Weges gehe zulasten des Klägers.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, dass er sich nunmehr daran erinnere, dass er nach dem Abbiegen auf die M. festgestellt habe, dass er die zwingend erforderlichen Dienstschlüssel vergessen habe. Er habe daher im Bereich der Q. wenden wollen. Er habe an dem Unfalltag einen Arbeitsweg gewählt, den er öfters nutze. Es liege daher keine beachtenswerte Abweichung vom Arbeitsweg vor. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2017 als unbegründet zurück. Der Kläger habe sich vor dem Unfallereignis nicht auf dem direkten Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte befunden. Im Wegefragebogen sei als gewöhnlicher Weg die Strecke „R.“ angegeben worden. Dies seien 3,9 km. Die Fahrstrecke über die M. am Unfalltag zum Arbeitgeber betrage 8,1 km und wäre damit doppelt so lang. Der Kläger habe sich damit nicht auf einem versicherten Weg befunden.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 4. September 2017, einem Montag, Klage beim SG erhoben. Die knapp 4 km lange Strecke über die S. nehme eine Fahrtzeit von ca. sechs Minuten in Anspruch. Die ca. 6,8 km lange Strecke über die M. mache einen zeitlichen Unterschied von gerade einmal drei Minuten in der Fahrtzeit zum Arbeitsplatz aus. Diesen Weg wähle er des Öfteren. Er erinnere sich nunmehr daran, dass er am Unfalltag aus seiner Wohnsiedlung herausgefahren sei und an der Einmündung T. zur S. gestanden habe. Dort habe er auf der linken Seite in einiger Entfernung mehrere Lkw mit eingeschaltetem Warnlicht auf Höhe des Firmengeländes der Firma U. International GmbH (im Folgenden Firma U.) erkennen können. An dieser Stelle komme es häufiger zu Behinderungen aufgrund von Anlieferverkehr. Aus diesem Grunde habe der Kläger die wenig längere Route rechts über die M. gewählt. Wenn sich bei Anlieferverkehr mehrere Autos in dem Bereich rückstauten, sei der eingeschlagene Weg sowohl flüssiger als auch zeitlich günstiger. Auch daher liege kein Umweg vor. Aufgrund der gesundheitlichen Folgen des Unfalls (Amnesie) befinde er sich in Beweisnot.

Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Kläger zunächst eine CD mit der Beschriftung „V.“, „2018.1“ sowie „2018.4“ und eine weitere mit der Beschriftung „8716967K02gö-ac“ mit jeweils zwei Videos beigebracht. Das SG hat eine Stellungnahme zur Verkehrssituation in der S. der Firma U. vom 20. August 2018 sowie des Polizeikommissariates W. vom 23. August 2018 eingeholt und den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich angehört. Auf das Sitzungsprotokoll wird insoweit verwiesen.

Mit Urteil vom 15. Mai 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Unfallereignis sei nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt keinen Weg zurückgelegt, der i.S.v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII geschützt sei. Es (das SG) habe bereits Zweifel, dass sich der Kläger mit dem Abbiegen nach rechts auf die S. Richtung M. noch auf dem direkten Weg zu seiner Arbeitsstätte befunden habe. In dem Unfallfragebogen habe er selbst angegeben, dass er regelmäßig den Weg über die X. nehme. Dieser Weg sei 3,9 km lang, den 7 km langen Weg über die M. habe er in dem Fragebogen nicht angegeben. Nicht erwiesen sei, dass er am Unfalltag den Weg nach rechts gewählt habe, weil er in der linken Fahrrichtung in Höhe der Firma U. parkende Lkw bemerkt und als Verkehrsbehinderung erkannt habe. Dies ergebe sich aus den Angaben der Firma sowie des Polizeikommissariates W. Selbst wenn der Weg über die M. noch als direkter Weg gewertet würde, habe der Kläger diesen durch den Abbiegevorgang nach links unmittelbar vor dem Unfall unterbrochen und sich dadurch nicht mehr auf dem üblicherweise zurückgelegten direkten Weg von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte befunden. Aus der Sicht des Gerichts spreche vieles dafür, dass der Kläger mit seinem Abbiegen in die Q. an der dort gelegenen Tankstelle habe tanken wollen. Die Ehefrau des Klägers habe zunächst eine entsprechende Erklärung gegeben. Das Einschlagen in die Y. lasse sich damit auch schlüssig erklären. Das Tanken wäre eine rein privatwirtschaftliche Angelegenheit, deren Erledigung den Versicherungsschutz entfallen lasse. Unabhängig davon, ob die später im Verfahren erfolgte Behauptung des Klägers, er habe gewendet, um den Zuhause vergessenen Betriebsschlüssel zu holen, zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führte, halte es das Gericht nicht für erwiesen, dass der Kläger tatsächlich habe wenden und nicht tanken wollen. Zur Überzeugungsbildung des Gerichts sei es insbesondere nicht ausreichend, dass in dem Übergabeprotokoll des Krankenhauses keine Schlüssel protokolliert worden seien, denn nach dem Vortrag des Klägers habe er den Betriebsschlüssel immer in der Hosentasche transportiert. Die Rückgabe einer Hose sei im Protokoll festgehalten. Es sei möglich, dass sich die Schlüssel darin befunden hätten. Die Rückgabe der Schlüssel sei weder vom Krankenhaus noch vom Entsorgungsunternehmen dokumentiert worden. Die Nichterweislichkeit gehe nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zulasten des Klägers. Dies gelte auch, wenn dieser keine Erinnerungen an das zum Unfall führende Geschehen habe.

Gegen das ihm am 20. Juni 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Juli 2019 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung trägt er vor, dass die Strecke über die M. lediglich 6,8 km lang sei. Selbst bei ungestörter Verkehrslage differenzierten die Fahrzeiten gegenüber der schlechter ausgebauten S. um kaum drei Minuten. Auf Grundlage der linksseitig zur Ausfahrt aus dem Wohngebiet beobachteten Rücklichter und seiner Erfahrungswerte habe er allerdings davon ausgehen können, dass an diesem Tag der Weg über die M. der zeitlich günstigste und flüssigste Weg zur Arbeit sei.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Mai 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2017 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, den Verkehrsunfall vom 21. September 2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen,

3. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Unfall habe sich nicht auf dem direkten unmittelbaren Weg zum Ort der Tätigkeit ereignet. Der Kläger habe sich auf einem Umweg befunden. Anstatt einer Teil-Wegstrecke von nur 650 m von der S. bis zur Kreuzung Z. habe er einen 3,6 km langen Umweg über die M. bis zu dieser Kreuzung genommen. Zwar sei ein Versicherter nicht nur auf dem direkten/kürzesten Weg versichert, auch das Zurücklegen eines entfernungsmäßig weiteren Weges könne unter Versicherungsschutz stehen. Versicherungsschutz bestehe auch für einen Umweg dann, wenn auf diesem der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleibe, z.B. weil der Umweg weniger zeitaufwändig, besser ausgebaut, sicherer oder weniger frequentiert sei. Es sei vorliegend aber nicht ersichtlich, dass der Umweg weniger zeitaufwändig, sicherer oder kürzer sei. Das erstinstanzlich vorgelegte selbstgedrehte Video zeige nicht die betreffende Wegstrecke. Die erstinstanzlichen Ermittlungen bei der Firma U. und der Polizei am Unfalltag hätten keine ungünstige Verkehrssituation/Sperrung an der S. ergeben. Es sei eher anzunehmen, dass die M. stärker frequentiert sei. Nach Aktenlage ergäben sich jedoch Hinweise, die vermuten ließen, dass der Kläger aus eigenwirtschaftlichen Gründen den längeren Weg gewählt habe. Dieser stehe in diesem Fall nicht unter Versicherungsschutz. Der vergessene Firmenschlüssel sei nicht relevant, weil sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits auf einem Umweg befunden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat mit der angegriffenen Entscheidung im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat den Verkehrsunfall vom 21. September 2016 zutreffend nicht als Arbeitsunfall (Wegeunfall) anerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt damit voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität) (st. Rspr. d. BSG, vgl. u.a. Urt. v. 30. Januar 2020 – B 2 U 19/18 R – Rn. 13, juris, und Urt. v. 28. Juni 2022 – B 2 U 16/20 R – Rn. 11, juris, jeweils m.w.N.).

I. Der Kläger erlitt zwar, indem er mit dem Transporter kollidierte, eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall i.d. Sinne. Dieser führte zu multiplen Verletzungen, u.a. mehreren Frakturen und damit zu einem Gesundheitsschaden. Auch war der Kläger zum Unfallzeitpunkt dem Grunde nach als Beschäftigter der Gebr. Bruns GmbH gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

II. Allerdings befand er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht auf einem versicherten Weg, so dass der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung entfiel.

Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Ein sachlicher Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII besteht, wenn das konkrete Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, ist die Handlungstendenz des Versicherten. Das Handeln muss subjektiv – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen Tätigkeit ausgerichtet sein. Darüber hinaus muss sich die subjektive Handlungstendenz als von den Instanzgerichten festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl. BSG, Urt. v. 20. Dezember 2016 – B 2 U 16/15 R – Rn. 15, juris). „Weg“ ist die Strecke zwischen einem Start- und Zielpunkt. Bei allen (Hin-)Wegen setzt § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII den Ort der versicherten Tätigkeit als Zielpunkt fest („nach“), lässt aber zugleich den Startpunkt offen, sodass anstelle der Wohnung auch ein anderer (sog „dritter“) Ort Ausgangspunkt sein kann, sofern sich der Versicherte an diesem dritten Ort mindestens zwei Stunden aufgehalten hat. Zwischen dem in jedem Einzelfall zu ermittelnden Startpunkt und dem gesetzlich festgelegten Zielpunkt ist nicht der Weg an sich, sondern dessen Zurücklegen versichert, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf der Strecke zwischen beiden Punkten mit der Handlungstendenz, den jeweils versicherten Ort zu erreichen. Dabei steht nur das „Sichfortbewegen“ auf dem direkten Weg bzw. das Zurücklegen des direkten Weges nach dem Ort der Tätigkeit unter Versicherungsschutz, wie sich aus dem Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ergibt (vgl. u.a. BSG, Urt. v. 31. August 2017 – B 2 U 2/16 R – Rn. 15, juris, und BSG, Urt. v. 10. August 2021 – B 2 U 2/20 R – Rn. 16 f., juris, jeweils m.w.N.).

1. Der Kläger verließ nach seinen glaubhaften Ausführungen seine Wohnung (AA.), um mit dem Pkw zu seiner Arbeitsstätte (AB.) zu gelangen. Er hat dafür jedoch nicht den kürzesten Weg gewählt, so dass er sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf dem direkten Weg zu seiner Arbeitsstätte befand. Der kürzeste Weg führt über die Straßen AC. und S. zur X. und misst ca. 4,0 km. Stattdessen wählte der Kläger an dem Unfalltag die Route „AD. und AE. zu seiner Arbeitsstätte. Diese Route misst ca. 7,0 km. Der Unfall geschah auf der letztgenannten Route auf Höhe der Q..

2. Vorliegend sind keine Umstände festzustellen, die den Versicherungsschutz auch auf der längeren Route hätte begründen können.

Zwar sind Versicherte nicht ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zu der Arbeitsstätte geschützt. Ganz kleine, privaten Zwecken dienende Umwege, die nur zu einer unbedeutenden Verlängerung des Weges führen, sind für den Versicherungsschutz unschädlich. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die private Besorgung im Bereich der Straße selbst, mithin „so im Vorbeigehen“ erledigt wird. Ein vom Versicherten eingeschlagener Weg, der nicht nur unbedeutend länger ist als der kürzeste Weg, ist jedoch nur dann als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn die Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des Versicherten dem Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause oder einem anderen, sog dritten Ort zuzurechnen wäre. Solche objektiven Gegebenheiten können z.B. in folgenden Konstellationen gegeben sein: etwa um eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu befahren, um als Kraftfahrer vor Erreichen des verkehrsmäßig überfüllten Stadtzentrums an geeigneter Stelle zu parken, um den Schlüssel zum Werkzeugschrank zu holen, um einem durch die Länge des Weges bedingten Bedürfnis nach Erfrischung zu folgen oder weil sich der Versicherte verfahren hat. Ist demnach ein eingeschlagener Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit insbesondere weniger zeitaufwändig, sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger (bei Wahl eines bestimmten Verkehrsmittels) als der entfernungsmäßig kürzeste Weg, steht auch dieser längere Weg unter Versicherungsschutz. Lässt sich allerdings nicht feststellen, ob der Umweg im inneren Zusammenhang mit dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stand oder nur geringfügig war, besteht dagegen kein Versicherungsschutz (vgl. BSG, Urt. v. 11. September 2001 – B 2 U 34/00 R – Rn. 18, juris, und Urt. v. 24. Juni 2003 – B 2 U 40/02 R – Rn. 13, juris, jeweils m.w.N.). Es muss sich im Einzelfall ergeben, dass der kürzeste Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit aus objektiven, nicht rein privaten Gründen nicht genommen zu werden braucht, damit ein nicht unbedeutend längerer Weg grundsätzlich noch unter Versicherungsschutz steht (vgl. BSG, Urt. v. 11. September 2001 – B 2 U 34/00 R – Rn. 21, juris). Ist der gewählte alternative Weg nach und zum Ort der Tätigkeit hinsichtlich Entfernung und Zeit erheblich länger als eine andere alternative Wegstrecke, stellt dies ein Indiz dafür dar, dass für die Wahl des Weges Gründe maßgebend waren, die wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Je länger und zeitaufwendiger der gewählte alternative Weg daher im Verhältnis zu einem kürzeren und weniger zeitaufwendigen alternativen Weg ist, um so höhere Anforderungen sind an den Nachweis zu stellen, dass der erforderliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg nach oder vom Ort der Tätigkeit besteht (vgl. so zur Wahl zwischen zwei längeren Alternativrouten BSG, a.a.O.).

a) Vorliegend ist der vom Kläger gewählte Weg im Vergleich zum kürzesten Weg (7 anstatt 4 km) nicht unbedeutend länger, weil er sich entfernungsmäßig um 75 Prozent verlängert. Auch die Fahrzeit verlängert sich von sechs Minuten (laut „bing maps“, zuletzt abgerufen am 27. März 2024 um ca. 16:00 Uhr) auf der kürzesten Route auf ca. neun Minuten (laut „bing maps“, zuletzt abgerufen am 27. März 2024 um ca. 16:00 Uhr) auf der längeren Route. Dies ist eine Steigerung um die Hälfte. Soweit der Kläger (sinngemäß) einwendet, dass sich die Fahrzeit mit dem Pkw damit insgesamt lediglich um drei Minuten verlängert habe, und bereits daher kein Umweg vorliege, ist dem nicht zu folgen. Allein die Möglichkeit, dass der Versicherte eine nicht besonders lange Wegstrecke mit seinem für das Zurücklegen des Weges gewählten Kfz in kurzer Zeit zurücklegen kann, rechtfertigt es nicht, jeden Umweg als unbedeutend und deshalb dem Versicherungsschutz unschädlich anzusehen, der nur wegen der an sich nicht großen Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Wohnung keinen großen Zeitaufwand erfordert (vgl. BSG, Urt. v. 11. Dezember 1973 – 2 RU 148/72 – Rn. 18, juris).

b) Dem Senat ist bewusst, dass es sich in dem hiesigen Fall um vergleichsweise geringe entfernungs- und zeitmäßige Verlängerungen der Wegstrecke handelt. Nichtsdestotrotz ist die Rechtsprechung des BSG, dass im Regelfall der entfernungsmäßig kürzeste Weg zu wählen ist, auch bei solch eher kurzen Wegstrecken anzuwenden. Dies ergibt sich vor allem aus dem Schutzweck der Wegeunfallversicherung. Diese schützt vor Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremden Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen (vgl. BSG, Urt. v. 17. Dezember 2015 – B 2 U 8/14 R – Rn. 23, juris). Da dieses Risiko auch bei einer relativ gesehen nicht unerheblichen, aber absolut gesehen eher geringen entfernungs- und zeitmäßigen Verlängerungen vergleichsweise erhöht wird, bedarf es auch in diesem Fall objektiver Gründe i.S.d. oben zitierten Rechtsprechung, um den Versicherungsschutz auch auf dem längeren Weg zu begründen. Entscheidend ist insoweit, dass sich mit der Verlängerung von Wegstrecke und Fahrzeit die Gefahrenquellen entsprechend, d.h. relativ, vermehren (vgl. dazu BSG, Urt. v. 30. August 1963 – 2 RU 147/60 – Rn. 11, juris). So hat das BSG auch selbst eine nicht unbedeutende Verlängerung der Wegstrecke von 700 bzw. 1.000 auf 1.400 m (vgl. BSG, Urt. v. 11. Dezember 1973 – 2 RU 148/72) und von 2,6 auf 4 km (vgl. BSG, Urt. v. 11. Dezember 1980 – 2 RU 71/78 – Rn. 28, juris) sowie bei einer Verlängerung der Wegstrecke von 6 auf 11 km bei einer Verlängerung der Fahrzeit um drei bis vier Minuten (vgl. BSG, Urt. v. 30. August 1963 – 2 RU 147/60 – Rn. 11, juris) angenommen.

c) Im Rahmen der vom BSG geforderten Einzelfallprüfung berücksichtigt der Senat in dem hiesigen Fall auch folgende Umstände: Der Kläger bewegte sich mit dem Abbiegen von der Straße T. in die S. nach rechts anstatt nach links zunächst in die zur Arbeitsstätte entgegengesetzte Richtung, mithin vom Arbeitsplatz weg. Weiterhin hat sich vorliegend der in Kauf genommene eigentliche Umweg, d.h. der Weg, den der Kläger zurückgelegt hätte, bis er sich wieder auf der kürzesten Route befunden hätte, für die Versicherungsschutz bestanden hätte, entfernungs- und zeitmäßig verfünffacht. Die Distanz von der Einmündung der Straße T. in die S. bis zum Kreisverkehr (AF.), an dem sowohl die kürzere Route als auch die gewählte, längere Route direkt zur Arbeitsstätte an der X. führen, beträgt auf der kürzeren Route ca. 700 m und die Fahrzeit dauert mit dem Pkw ca. eine Minute. Demgegenüber beträgt die Distanz von der Einmündung bis zum Kreisverkehr auf der längeren, vom Kläger gewählten Route über die M. 3,7 km und die Fahrt dauert fünf Minuten. Abschließend führt die vom Kläger gewählte längere Route über eine Bundesstraße anstatt allein über die Kreisstraßen AG. und AH., die auf einem erheblichen Teil zudem innerorts befahren werden, und stellt damit nach dem Dafürhalten des Senats im Hinblick auf Verkehrsunfälle die deutlich verkehrsreichere und gefährlichere Route dar. Aufgrund dieser Umstände sind nach Auffassung des Senats vor dem Hintergrund des Schutzzweckes der Wegeunfallversicherung hohe Anforderungen an die Begründung für den Versicherungsschutz auf dem vom Kläger gewählten längeren Weg zu stellen, auch wenn dessen Verlängerung absolut gesehen eher gering war.

Der Senat sieht sich durch die oben zitierte Rechtsprechung des BSG darin bestätigt, dass vorliegend ein nicht nur unbedeutender Umweg anzunehmen ist. Weiter wurde ein nicht unbedeutend längerer Weg auch in der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen angenommen, wenn die zurückzulegende Gesamtstrecke 19,1 km anstatt 15,1 km beträgt (vgl. Urt. v. 25. September 2019 – L 3 U 45/17 – Rn. 38, juris). Der Annahme eines unbedeutenden Umweges steht auch nicht die bisherige Senatsrechtsprechung entgegen. Danach wurde zwar eine Strecke von 24,7 anstatt 21,3 km mit 27 anstatt 26 Minuten Fahrtzeit (vgl. Senatsurteil vom 23. September 2021 – L 14 U 149/20) und 16,1 anstatt 13,7 km und 16 bis 18 Minuten Fahrtzeit als unbedeutend und damit grundsätzlich versichert angesehen (vgl. Senatsurteil vom 26. April 2018 – L 14 U 244/15). Dabei handelte es sich relativ gesehen jedoch um deutlich geringere entfernungs- und zeitmäßige Verlängerungen als in dem hier streitigen Fall.

d) Es lässt sich keiner der von der Rechtsprechung des BSG genannten, objektiven Gründe für die Wahl der entfernungsmäßig längeren Strecke feststellen. Insbesondere ist die vom Kläger gewählte Route – wie oben dargelegt – weder nachweislich sicherer noch weniger zeitaufwändig. Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass er die entfernungsmäßig längere Route u.a. auch am Unfalltag gewählte habe, um ein Anstauen von Pkw auf der S. infolge von Lieferverkehr bei der Firma U. zu umfahren, vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass dieser Umstand tatsächlich stattgefunden hat. Der Kläger selbst hat für seinen Vortrag nicht unmittelbar Beweis angetreten. Die Ermittlungen des SG legen zudem nahe, dass die vom Kläger geschilderte Situation nicht vorlag. So hat die Firma U. in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass zwar keine Angaben über das Verkehrsaufkommen in der S. im Zeitraum 2016 gemacht werden können. Es sei auch hin und wieder zu beobachten, dass Lkw-Fahrer am Pförtnerhaus nach dem Weg fragen, so dass es zu kurzen Parkungen kommen könne. Dies sei allerdings als äußert selten zu bezeichnen. Es könne aber nahezu ausgeschlossen werden, dass der Anlieferungsverkehr für das Unternehmen morgens zum Anstauen von Pkw führe, da ihre Spediteure am späten Nachmittag sog. Brücken einmal täglich austauschten und hierfür nur ein Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt auf den Hof fahre. Bei Anlieferungen für die Produktion sei die Anzahl der Lkw auf etwa drei bis fünf Stück pro Woche begrenzt. Diese könnten jedoch auf das große Betriebsgrundstück sofort einfahren, so dass es nicht zu Parkungen auf der S. kommen müsse. Im September 2016 seien auch keine Hallen an Spediteure auf dem Betriebsgrundstück vermietet gewesen, die auf ein höheres Verkehrsaufkommen als normal hinweisen würden. Weiter hat das zuständige Polizeikommissariat W. in seiner Stellungnahme dargelegt, dass auf der S. in dem Zeitraum 2016 früh morgens zu keinem erhöhten Verkehrsaufkommen durch parkende Lkws gekommen ist. Dies sei zumindest polizeilich nicht bekannt. Eventuell erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Anlieferungsverkehr für bestimmte Unternehmen sei polizeilich ebenfalls nicht bekannt. Es sind keine Gründe ersichtlich, an der Glaubhaftigkeit dieser Stellungnahmen zu zweifeln. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sowohl die örtlich ansässige Firma als auch das zuständige Polizeikommissariat ein aussagekräftiges Bild über die örtlichen Verkehrsverhältnisse haben.

Demgegenüber vermögen die von dem Kläger beigebrachten Videos, die der Senat gemeinsam mit den Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 12. April 2024 in Augenschein genommen hat, nicht den Nachweis für die den Umweg begründende Anstauung von Kfz auf der S. in Höhe der Firma U. erbringen.

Den Videos kommt bereits von vornherein nur ein sehr geringer Beweiswert zu, da sie den Nachweis für die behauptete Verkehrsanstauung in Höhe der Firma U. am Unfalltage bereits deshalb kaum erbringen können, weil sie gerade diese Situation nicht zeigen. Sie sind nicht am Unfalltag aufgezeichnet worden, was sich jedenfalls aus den Änderungsdaten der jeweiligen Videodateien, die auf den 18., 19. und 28. Januar sowie 8. April 2018 lauten, ergibt. Für den Nachweis einer generellen, häufig bestehenden Verkehrslage auf der A. Straße besitzen sie weiterhin als reine Momentaufnahmen vom jeweiligen Aufzeichnungstag ebenfalls nur geringe Aussagekraft.

Ergänzend ergab sich für den Senat aus der Inaugenscheinnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlungen Folgendes: Das Video „20180408_123515“ vom 8. April 2018 zeigt zwar den kürzesten Arbeitsweg (AI. und X.). Allerdings lassen sich dort Verkehrsbehinderungen durch Verkehrsstaus nicht feststellen. Das im Dunkeln aufgenommene Video „20180118_060304“ zeigt zwar, aufgenommen ungefähr von der Einmündung T. in die S., in einiger Entfernung auf der S. in Richtung der Arbeitsstätte des Klägers eingeschaltete Blinklichter, die sich möglicherweise in Höhe des Geländes der Firma U. befinden, und auf diese zufahrende Pkw. Allerdings lässt sich auch diesem Video nicht entnehmen, dass es zu einem Verkehrsstau kommt. Das Video „20180119_151635“ wiederum zeigt zunächst wie der Kläger auf der Hauptstraße in Richtung seiner Arbeitsstätte fährt, schließlich aber in die Straße AJ. abbiegt, die damit nicht auf dem direkten Arbeitsweg des Klägers liegt. Das in dem Video gezeigte Parken von zahlreichen Lkws beim Gelände der Firma AK. Produktionsgenossenschaft AL. mbH & Co. KG mag daher verdeutlichen, dass es einen nicht unerheblichen Lkw-Verkehr in der Gemeinde S. gibt. Weil dieser Bereich jedoch nicht auf dem direkten Arbeitsweg des Klägers liegt, der der Hauptstraße weiter folgen würde, und darüber hinaus insbesondere nicht die Situation bei der Firma U. auf der S. gezeigt wird, stellt auch dieses Video keinen Nachweis für die behauptete Verkehrsanstauung auf der S. dar. Diese kann auch das Video „vlc-record-20180119_124353.mp4-“ zur Überzeugung des Senats nicht nachweisen. Es zeigt beginnend kurz vor dem Kreisverkehr zwar den kürzesten Arbeitsweg des Klägers und einen hinter dem Kreisverkehr auf der X. in Richtung Arbeitsstätte des Klägers beginnenden Verkehrsstau aufgrund auf der Straße stehender Lkw. Allerdings handelt es sich erneut nicht um eine Anstauung auf der S. in Höhe der Firma U. Zudem muss der Kläger den Streckenabschnitt auf der X. nach dem Kreisverkehr, auf dem der Verkehrsstau gefilmt wurde, auch dann fahren, wenn er die von ihm am Unfalltag gewählte Ausweichstrecke fährt. Wie bereits oben dargelegt stimmen diese und der kürzeste Arbeitsweg ab dem Kreisverkehr überein.

Aus alledem folgt zur Überzeugung des Senats im Ergebnis, dass der Kläger keine Gründe für ein Abweichen vom üblichen, kürzesten Arbeitsweg nachweisen kann.

Der fehlende Nachweis von Gründen, die das Einschlagen des Umweges rechtfertigen könnten, geht zulasten des Klägers. Er trägt für die Nichterweislichkeit der für den eingeschlagenen Umweg maßgeblichen, den Versicherungsschutz begründenden Gründe die objektive Beweislast, da es sich um anspruchsbegründende Tatsachen handelt (vgl. so zum irrtümlichen Abweichen vom Weg i.S.e. Abweges BSG, Urt. v. 20. Dezember 2016 – B 2 U 16/15 R – Rn. 24, juris). Eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterungen aufgrund behaupteter Beweisnot kommen nicht in Betracht (vgl. diesbezüglich zu Wegeunfällen BSG, Urt. v. 2. Dezember 2008 – B 2 U 26/06 R – Rn. 39, juris; BSG, Urt. v. 10. August 2021 – B 2 U 2/20 R – Rn. 31, juris).

3. Da sich der Kläger nach alledem bereits auf einem unversicherten Umweg zum Unfallzeitpunkt befand, bedarf es keiner weiteren Ausführungen und Ermittlungen dahingehend, ob der Kläger auf der M. in die Q. eingebogen ist, um an der dortigen Tankstelle zu tanken oder er gewendet ist, um seine – nach eigener Aussage – vergessenen, zur Ausübung der Tätigkeit zwingend erforderlichen Dienstschlüssel zu holen. Auch bedarf es keiner weiteren Ermittlungen des Senats zur Glaubhaftigkeit des zunächst eingetretenen Erinnerungsverlusts und der im Laufe des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens wiedereinsetzenden Erinnerung an die zum Unfall führenden Umstände.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, da der Senat der Frage, ob ein nicht unbedeutender Umweg auch dann bei relativ gesehen nicht unerheblichen, absolut gesehen aber eher geringen Abweichungen vom kürzesten Weg vorliegen und unter welchen Umständen der Umweg gerechtfertigt ist, grundsätzliche Bedeutung beimisst (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).


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